Schwein in Intensivtierhaltung

«Die Tierschutzvorschriften für Schweine sind mehr als ungenügend»

Interview mit Yasmine Wenk, Campaignerin bei VIER PFOTEN in der Schweiz

18.3.2020

Wie lange arbeitest du schon für VIER PFOTEN und was ist dein Job?

Ich arbeite seit vier Jahren im Schweizer Kampagnen-Team und bin dort mehrheitlich für den Bereich Nutztiere zuständig.

Schwein Emma konnte aus einem Mastbetrieb gerettet werden. Warum sind konventionelle Mastbetriebe für Schweine so schlimm?

Grundlegendste Bedürfnisse der Tiere werden in der heutigen industrialisierten Landwirtschaft missachtet. Aus Tierschutzsicht ist das grösste Problem, dass die Tiere und deren Leben den Umständen der Produktion angepasst werden und nicht Haltungsbedingungen an das Tier und dessen Bedürfnisse.

Auf intensiven Mastbetrieben werden Schweine ohne Auslauf ins Freie auf engstem und dunklem Raum zusammengepfercht. So können Schweine ihre natürlichen Verhaltensweisen kaum ausleben – im Gegenteil: Wichtige Grundbedürfnisse – wie Körperpflege, Sozial-, Erkundungs-, Nahrungssuch- und Nestbauverhalten – werden unterdrückt. Der Platzmangel, der fehlende Auslauf ins Freie und die fehlenden Beschäftigungsmöglichkeiten können zu schweren physischen und psychischen Schäden führen.

Wie verhalten sich Schweine in einer artgerechten Umgebung? 

Schweine sind ausgesprochen lernfähige und sehr verspielte Tiere - es lohnt sich, mal ein paar Fakten über Schweine zu lesen. Sie sind ähnlich intelligent wie Hunde. Unter natürlichen Bedingungen verbringen sie viel Zeit damit, ihre Umgebung zu erkunden. Sie wühlen bis zu 8 Stunden pro Tag nach Futter. Schweine haben einen Sinn für Leckerbissen. Sie fressen unter anderem Gras, Früchte, Nüsse, Blätter, Kräuter, Pilze, Wurzeln usw.  Entgegen der landläufigen Meinung sind Schweine auch sehr reinliche Tiere, sie würden niemals freiwillig in ihr Schlafnest koten. Da sie nicht schwitzen können, nehmen sie an heissen Tagen gern ein kühlendes Bad im Schlamm. Die Schlammkruste dient auch als Schutz gegen Parasiten und gegen Sonnenbrand. Als gesellige Wesen leben sie in grösseren Gruppen.

Yasmine Wenk im Arosa Bärenland

Wie sieht die Schweinehaltung in der Schweiz aus?

In der Schweiz leben knapp 1.5 Millionen Schweine. Die Tierschutzvorschriften für Schweine sind mehr als ungenügend. Die Ställe sind darauf ausgerichtet, möglichst viel Schweinefleisch in möglichst kurzer Zeit zu produzieren – und das mit möglichst geringen Kosten. Die Platzverhältnisse sind sehr beengt. Einem Schwein, das 85 -110 kg wiegt, steht eine Gesamtfläche von nur 0.9 Quadratmetern zu und Beschäftigungsmöglichkeiten sind kaum vorhanden. Auslauf ins Freie oder eine Weide ist nicht gesetzlich vorgeschrieben.

Man sieht hier sehr selten Schweine im Freien oder auf Wiesen. Und das obwohl es in der Schweiz rund 1.5 Millionen Schweine gibt. Die meisten Schweine verbringen ihr kurzes Leben in geschlossenen Ställen. Auf knapp einem Quadratmeter ohne Weidezugang gibt es keinen Platz zum Wühlen, Suhlen oder Spielen und wer würde schon gerne auf weniger als einem Quadratmeter essen, schlafen und leben? Das ist für die meisten Schweizer Schweine leider die Realität. Und das obwohl heute anerkannt ist, dass Tiere empfindungsfähige Wesen sind.

Was kann jeder Einzelne tun, um das Leben von Schweinen in der Schweiz zu verbessern?

Mit Ihrer Wahl im Supermarkt können Sie das Leben von Schweinen wie Emma beeinflussen. Steigt die Nachfrage nach tierfreundlich produzierten Produkten, wird die landwirtschaftliche Produktion dadurch positiv beeinflusst und mehr Tiere werden in tierfreundlichen Haltungssystemen gehalten.

Im Detail empfehlen wir allen Konsumentinnen und Konsumenten das 3R Prinzip für den Alltag. Reduce, Refine, Replace. Am Beispiel von Schweinefleisch bedeutet das:

  • weniger Schweinefleisch zu konsumieren – Reduce
  • unbedingt auf Labels mit hohen Tierwohlstandards zu achten. Wir empfehlen Schweinefleisch aus Bio- oder Freilandhaltung zu kaufen – Refine
  • tierische Produkte öfters durch leckere pflanzliche Alternativen zu ersetzen – Replace

Was fordert VIER PFOTEN für sogenannte Nutztiere?

Landwirtschaftliche Tierhaltungssysteme sollen in Zukunft von Grund auf anders ausgerichtet und an die Bedürfnisse der Tiere angepasst werden und nicht umgekehrt. Um das Tierwohl in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung zu schützen, müssen fünf Kernforderungen erfüllt werden:

  1. Die landwirtschaftliche Nutztierhaltung soll das natürliche Verhalten sowie die physische und psychische Gesundheit der Tiere zulassen und fördern.
  2. Schmerzen und Leiden sollen vermieden werden.
  3. Die Haltungsbedingungen sollen auf die Bedürfnisse der Tiere ausgerichtet werden – damit verbunden sind auch mehr Platz, Auslauf und Tageslicht.
  4. Das Tierwohl muss vor Gewinn-Maximierung gestellt werden – damit verbunden ist die Abkehr von einseitigen Hochleistungsrassen.
  5. Für Transport und Schlachtung müssen strenge Vorgaben gelten, die einen fachgerechten Umgang mit den Tieren bis zum Tod sicherstellen.

Wie setzt sich VIER PFOTEN für Nutztiere ein?

VIER PFOTEN arbeitet bereits seit vielen Jahren weltweit daran, die Bedingungen für sogenannte Nutztiere zu verbessern. Wir arbeiten daran, Menschen aufzuklären und sie hinsichtlich einer mitfühlenderen Lebensmittelwahl zu sensibilisieren. Weiter unterstützen wir Projekte, die alternative und tierfreundlichere Haltungsformen fördern. So unterstützen wir zum Beispiel die Mutter- und Ammengebundene Kälberaufzucht auf Milchbetrieben. Ein weiteres Projekt, das wir unterstützen, ist die Hof- und Weidetötung. Wir unterstützen Landwirte, die Haltung von horntragenden Rindern, in Laufställen mit Auslauf, sicher für Tier und Mensch umzusetzen. Zudem arbeiten wir mit verschiedenen Kampagnen daran, die Textil- und Lebensmittelindustrie in eine Richtung mit mehr Tierwohl zu bewegen. Und nicht zuletzt arbeiten wir auch intensiv daran, gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, damit in der Landwirtschaft die Bedürfnisse der Tiere an erster Stelle stehen. Hierzu unterstützen wir in der Schweiz zum Beispiel die Massentierhaltungsinitiative.

Um was geht es bei der Massentierhaltungsinitiative?

Sentience Politics hat die nationale Volksinitiative zur Abschaffung der Massentierhaltung lanciert und eingereicht. Viele weitere Tierschutz-, Tierrechts- und Umweltschutzorganisationen, darunter VIER PFOTEN, tragen die Forderungen dieser Initiative mit. Viele der Millionen sogenannter Nutztiere, die in der Schweiz jedes Jahr gezüchtet und geschlachtet werden, leben momentan in Haltungsformen, die ihre grundlegendsten Bedürfnisse missachten. Fehlender Auslauf, Strukturlosigkeit und die Zucht auf Höchstleistung sind nur einige Beispiele von hiesigen Tierschutzproblemen in der Nutztierhaltung. Das Ausleben von natürlichen Verhaltensweisen und Grundbedürfnissen ist oft nicht annähernd möglich. Statt in Alpenromantik verbringen etwa 50 % aller Mastrinder ihr Leben ohne Auslauf ins Freie. Masthühner werden auf maximale Gewichtszunahme in kürzester Zeit gezüchtet. Am Ende der Mastperiode können sie sich kaum noch auf den Beinen halten. Der hohe Verbrauch an tierischen Produkten bringt nicht nur Probleme für die landwirtschaftlich genutzten Tiere. Die Produktion von tierischen Lebensmitteln verbraucht auch viel Ressourcen und verschmutzt Wasser und Atmosphäre. Insbesondere die grossen Treibhausgasemissionen der Tierindustrie und die Rodung von riesigen Waldflächen sind für den Klimawandel mitverantwortlich. Zudem kann der Konsum von zu vielen tierischen Nahrungsmitteln der Gesundheit schaden (Übergewicht, Antibiotikaresistenz etc.)

Diese Probleme lassen sich vermindern und gar verhindern. Die oben beschriebene industrielle Art von Nutztierhaltung muss aufgegeben werden. Es soll auf eine Schweizer Landwirtschaft hingearbeitet werden, die den Grundbedürfnissen der Tiere gerecht wird und bei der das Wohl der Tiere nicht mehr systematisch verletzt wird. Zudem sollen Produkte aus solchen Haltungsbetrieben auch nicht mehr importiert werden dürfen. Landwirtschaftliche Tierhaltungssysteme sollen in Zukunft von Grund auf anders ausgerichtet sein und an die Bedürfnisse der Tiere angepasst werden und nicht umgekehrt.

Was würde sich bei einem «JA » für diese Initiative ändern?

Nach einer Annahme der Massentierhaltungsinitiative sollen die Bio Suisse Richtlinien bezüglich Tierwohl verbindlich für alle Betriebe gelten. Das bedeutet zum Beispiel, dass statt wie heute 27'000 Mastpoulets in einer Halle nur noch maximal 2000-4000 zugelassen wären. Ausserdem bräuchten alle Tiere täglich Auslauf. Gerade für Hühner und Schweine wäre das eine grosse Veränderung. Zudem dürften Produkte aus dem Ausland, die nicht diesem Standard entsprechen, nicht mehr importiert werden.

Noch ein Schlusswort...?

Wir müssen auch den sogenannten Nutztieren mit Respekt und Mitgefühl begegnen. Lassen wir sie wieder weiden, springen, suhlen, scharren und wühlen. Wir möchten erreichen, dass in einer modernen und zukunftsfähigen Landwirtschaft die Bedürfnisse der Tiere an erster Stelle stehen und so die Lebensbedingungen von knapp 15 Millionen Tieren in der Schweiz massiv verbessert werden.

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