Napa macht mal Pause

«Wir schaffen Voraussetzungen, damit Napa das natürliche Verhalten erlernen und ausleben kann»

Interview mit Hans Schmid, wissenschaftlicher Leiter des Arosa Bärenlands

25.8.2020

Kannst du dich kurz vorstellen?

Ich heisse Hans Schmid, bin in Arosa aufgewachsen und habe Verhaltensbiologie studiert. Während 15 Jahren arbeitete ich in der Forschung und Lehre am Zoologischen Institut der Universität Zürich. Seit 1999 arbeite ich im Zoo Zürich in der Leitung des Tierpflegebetriebs. Im Arosa Bärenland nehme ich die wissenschaftliche Leitung wahr.

 Was ging dir durch den Kopf, als du Napa zum ersten Mal gesehen hast?

Das war der sehr emotionale Lohn für all die Anstrengungen bei der Projektierung des Arosa Bärenlands. Ich hatte feuchte Augen und es lief mir kalt über den Rücken. Das Arosa Bärenland, in welchem sich nachhaltiger Tierschutz und innovativer Tourismus vereinen, startete.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag im Bärenland aus?

Bei Arbeitsantritt wird zuerst das Sicherheitsmaterial gefasst (Betriebstelefon, Funkgerät, Pfefferspray). Danach wird nach den Bären Ausschau gehalten und kontrolliert, ob alles in Ordnung ist. Die Vorbereitung des Futters und bei Bedarf das Reinigen der Innenanlagen werden erledigt. Sind die Bären in den Innenanlagen abgetrennt, wird auf den Aussenanlagen das geschnittene Futter grossflächig verteilt, damit die Bären bei der Futtersuche naturnah und somit möglichst lange beschäftigt sind. Zwischenzeitlich wird der Gästebereich mit der Tierschutzausstellung VIER PFOTEN gereinigt und für unsere Gäste bereitgestellt. Jetzt sind unsere Fachspezialisten ganztägig damit beschäftigt, unsere Bären zu beobachten, wiederholt Futter zu verteilen und unsere Gäste zu betreuen. 

Hans Schmid und eine Kollegin bei der Arbeit

Was gilt es beim Umgang mit Bären zu beachten?

Von grösster Bedeutung ist, stets alle Sicherheitsmassnahmen einzuhalten. Für das Wohl der Bären ist selbstverständlich das Beobachten und das Interpretieren der Verhaltensmuster bedeutend, um bei Bedarf Anpassungen in der Haltung vornehmen zu können. Die Bären sind trainiert, alle zwei Wochen gewogen zu werden, um in Abhängigkeit der Gewichtsentwicklungen die Menge und die Zusammensetzung des Futters gesund ausrichten zu können.

Wie hat sich Napa seit seinem Einzug ins Bärenland verändert?

In den ersten Tagen nach der Ankunft zeigte Napa täglich bis zu acht Stunden Verhaltensstörungen (hin- und herlaufen). Aufgrund der angeborenen Verhaltensweisen (Instinkte) lernte er jedoch kontinuierlich, sich natürlich zu verhalten. Er begann Nahrung zu suchen und erkundete all die neuen Reize in dem sehr natürlich gestalteten Lebensraum. Er lernte, sich im steilen Gelände zu bewegen und konnte im Folgejahr nach der Ankunft von Amelia und Meimo das Sozialverhalten ausleben.

Welche Pflege benötigt Napa?

Grundsätzlich pflegen wir nicht. Wir schaffen Voraussetzungen, damit Napa das natürliche Verhalten erlernen und ausleben kann. Das muss er jedoch selbst machen. Pflege braucht Napa dann, wenn er gesundheitliche Probleme hat. Als Pflegemassnahme mischten wir Napa nach der Zahnoperation während vier Tagen entzündungshemmende und schmerzlindernde Medikamente ins Futter.

Welches Verhältnis hat Napa zu den anderen Bären?

Das bärentypische Verhältnis wie es sich für Einzelgänger gehört. Napa und Meimo als Männchen gehen sich konsequent aus dem Weg, zwischendurch brüllen sie sich aggressiv an. Amelia als Weibchen verträgt Napa in seiner Nähe weitgehend.

Inwiefern haben Napas traumatische Erfahrungen Spuren hinterlassen?

Sein acht Jahre dauerndes Leben eingesperrt in einem Käfig von 6m2 war ein Vollfrust und er lernte, dass er in dieser Situation nur hin- und herlaufen konnte (Verhaltensstörung). Im Arosa Bärenland lernte er, sich natürlich zu verhalten und die Verhaltensstörung ging erwartungsgemäss stark zurück. Wenn Napa jedoch frustriert ist, zeigt er wieder seine Verhaltensstörung von früher und er beginnt, hin- und herzulaufen. Ziel im Arosa Bärenland ist es, für Napa Voraussetzungen zu schaffen, dass er von diesem Verhaltensmuster vollständig wegkommt.

Wie beschäftigt sich Napa im Bärenland?

Die Hauptbeschäftigung ist klar die Nahrungssuche, welche wie in der Natur viele Stunden pro Tag in Anspruch nimmt. Wichtig ist Napa aber auch, ständig zu kontrollieren, wo sich die anderen beiden Einzelgänger Amelia und Meimo aufhalten. Gerne ruht oder badet er zwischendurch.

Das Arosa Bärenland ist gut besucht. Fühlt sich Napa durch die Besucher gestört?

Napa ist von jung auf menschenvertraut. Da im Arosa Bärenland die Besucher nicht füttern können und Napa weiss, dass die Besucher für ihn keine Gefahr darstellen, lässt er sich, wie Amelia und Meimo auch, keineswegs stören. Napa hält sich oft in Besuchernähe auf und ruht sogar teilweise direkt unter der Besucherplattform.

Inwiefern unterscheidet sich das Leben im Bärenland von einem Leben in der Wildnis?

Das Arosa Bärenland ist ein geschützter Lebensraum. Es ist immer genügend Futter vorhanden, es hat keine Feinde und wenn ein gesundheitliches Problem entsteht, kommt der Tierarzt. In der Wildnis kann ein knappes Futterangebot zum Hungertod führen. Bären müssen immer aufmerksam sein, um sich vor Gefahren schützen zu können. Ein gesundheitliches Problem müssen sie selbst lösen. Das Leben in der Wildnis ist ein Überlebenskampf. Die menschliche Vorstellung, dass die Wildnis alle Freiheiten bietet, ist ziemlich romantisiert.

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