Schwein

EU-Wahl: Schwein gehabt, hier zu leben?

Ein Meinungsbeitrag von Josef Pfabigan, Vorstandsvorsitzender der globalen Tierschutzorganisation VIER PFOTEN, zur bevorstehenden EU-Wahl

7.6.2024

«Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.» (Antoine de Saint-Exupéry) 

Wahlkampf in der EU: Eines der bekanntesten Zitate aus der frühen Schulliteratur zeigt bereits Menschen im Kindesalter, worauf es zum Beispiel in sozialen Interaktionen, bei strittigen Debatten oder im Umgang mit Lebewesen ankommt. Dieses «mit dem Herzen gut sehen» verbinden wir bei VIER PFOTEN auch als einen Auftrag in Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament: Mehr als 370 Millionen Bürgerinnen und Bürger entscheiden in wenigen Tagen indirekt über die Bedingungen, unter denen Milliarden von Tieren zukünftig in der EU gehalten, transportiert und geschlachtet werden. Die enorme Wichtigkeit dieser Revision wird schon allein dadurch deutlich, dass die letzte Tierschutzreform in der EU vor 20 Jahren durchgeführt wurde. Zum Vergleich: Im selben Jahr, 2004, wurde Facebook gegründet. Seitdem hat sich global sehr viel verändert. Heute 16- und 18-jährige EU-Bürgerinnen und -Bürger, die 2024 wahlberechtigt sind, waren damals noch nicht geboren.  

Die Weltorganisation für Tiergesundheit (WOAH) definiert Tierwohl als «den geistigen und körperlichen Zustand eines Tieres im Verhältnis zu den Bedingungen, unter denen das Tier lebt und stirbt.» Dieses Verhältnis ist EU-weit in den Massentierhaltungsbetrieben auf das Gröbste vernachlässigt worden und führt zu legalisierter Tierquälerei und unverhältnismässigem Leid für Milliarden von Nutztieren. So bleiben die grausamen Bilder überfüllter Hühnerbetriebe und verdreckter, dicht aneinander gedrängter Schweine auf Vollspaltenböden für die Öffentlichkeit unsichtbar und hinter geschlossenen Stalltüren verborgen. Sichtbar bleibt allein das Fleisch, gefällig verpackt und zu Billigstpreisen als Produkt in europäischen Supermarktregalen, serviert in Restaurants in Form von Schnitzeln und anderen Massenwaren. Das Tierleid, das dahinter steht, bleibt für Millionen von Konsumentinnen und Konsumenten unsichtbar. 

Vorzeigeprojekt in der Schweiz
Um die Frage des Tierwohls zu beantworten, werfen wir einen Blick in die Schweiz. Dort startete 2023 in Zusammenarbeit mit der Albert Koechlin Stiftung und dem FiBL (Forschungsinstitut für biologischen Landbau) das Projekt SchweinErleben auf dem Panoramahof in Meggen, im Kanton Luzern, das sich mit der Frage beschäftigt, wie sich Hausschweine in einem natürlichen Umfeld verhalten. Dazu leben drei Muttersauen mit ihren Ferkeln in einem Gehege mit Wiesen und Wald, wo sie ihren Alltag voll und ganz so gestalten, wie es ihrer Natur entspricht. Neben der Erforschung des natürlichen Verhaltens von Hausschweinen, die sich mittlerweile, zumindest äusserlich, stark von ihren Vorfahren, den Wildschweinen, unterscheiden, hat das auf drei Jahre angesetzte Projekt, auch einen Bildungsfokus. Im Gegensatz zu den knapp 150 Millionen Schweinen, die auf EU-Boden gemästet, geschlachtet und häufig unter tierquälerischen Bedingungen gehalten und transportiert werden, leben die Tiere auf dem Panoramahof in einem Paradies für Schweine. Die äusserst intelligenten und sozialen Tiere gelten, entgegen landläufiger Vorurteile, als sehr reinlich. Sie sind ausserdem wahre «Foodies», beschäftigen sich die meiste Zeit des Tages mit Nahrungssuche. Aber auch in diesem Projekt ist klar: am Ende werden die Schweine vom Panoramahof geschlachtet. Erspart bleiben ihnen jedoch zu Lebzeiten die vorherrschenden Bedingungen in der konventionellen Intensivtierhaltung. Hier begegnet der Mensch den Tieren mit Respekt und Mitgefühl. 

Dieses Projekt soll weitreichende Signalwirkung haben. Es soll Konsumentinnen und Konsumenten sowie Politikerinnen und Politikern die Tiere wieder näherbringen und sie für die Bedürfnisse der Schweine sensibilisieren. Seit Mai diesen Jahres haben Kindergartengruppen und Schulklassen die Möglichkeit, von Aussichtsplattformen aus die Hausschweine zu beobachten und sie beim Gähnen, Planschen und Schmatzen zu sehen. Dazu sind alle eingeladen, sich über «Citizen Science» an der Verhaltensforschung zu beteiligen und so einen noch tieferen Einblick in das Leben der Schweine zu bekommen. Steckt unter der rosaroten Haut vielleicht doch noch ein Wildschwein mit all seinen Verhaltensweisen und Bedürfnissen?  

Neben den Führungen und der wissenschaftlichen Begleitung des Projekts arbeitet das FiBL gemeinsam mit VIER PFOTEN auch an einem Filmprojekt, einem niederschwelligen Lehrfilm, um einer noch breiteren Öffentlichkeit einen Einblick in das Leben der Hausschweine vom Panoramahof geben zu können. Das Projekt läuft bis 2026. 

Der Einsatz für Tiere ist eine Herzensangelegenheit
Was lässt sich daraus nun auf einen grösseren Massstab ableiten, Stichwort Lebensmittelversorgung, und was erwartet sich VIER PFOTEN von den bevorstehenden Wahlen zum EU-Parlament? 

Seit dem Vertrag von Lissabon im Jahr 2009 gelten Tiere EU-weit offiziell als fühlende Lebewesen. Ihren Bedürfnissen entsprechend werden ihnen «Fünf Freiheiten» zugesprochen: Die Freiheit von Hunger und Durst, Unbehagen, Schmerzen und Krankheiten, Angst und Stress und die Freiheit, ihr artgemässes Verhalten ausleben zu können. Wenn wir uns die schrecklichen Bilder von Massentierhaltungsbetrieben, verunfallten Frachtern, Tiertransportern, Schlachthäusern und Tötungsmaschinerien wie jenen, denen jährlich Milliarden an männlichen Küken im Zuge der Eierproduktion zum Opfer fallen, ansehen, sind diese vertraglich zugestandenen «Freiheiten» in dem Vertrag purer Zynismus. Wir Menschen gestehen Tieren Gefühle zu, aber schauen vor allem bei sogenannten Nutztieren gerne weg, wenn Tierqual bei der Produktion tägliche Realität ist, um billige Produkte kaufen zu können. Gemeinsam müssen wir daran arbeiten dieses Unrecht zu beseitigen. Menschsein bedeutet auch, füreinander einzustehen und Mitgefühl zu zeigen.  

Ein Blick auf den Panoramahof zeigt uns eine alternative Realität: Die des Schweins, dessen Fleisch weltweit am meisten verzehrt wird, als fühlendes vielleicht auch glückliches Wesen, das springt, gräbt und grunzt. 

Sich für Tiere einzusetzen, ist Vernunfts- und Herzensangelegenheit. Die EU-Wahlen geben in Deutschland, Malta und Österreich Menschen ab 16, in anderen Ländern ab 18 Jahren die Chance, ihre Stimme für mehr Tierwohl in EU-Tierhaltungsbetrieben einzusetzen. Nur durch klare, starke, gemeinsame Standpunkte gegen Tierquälerei können wir weitreichende rechtliche Veränderungen durch unsere Politikerinnen und Politiker erreichen. Das Ziel müssen die höchsten Tierschutzstandards für alle Tiere sein. Es gilt bei der Wahl also genau hinzusehen, welche Kandidierenden und politischen Parteien für Tiere und Tierschutz eintreten, mit Respekt und Mitgefühl, mit den Augen und mit dem Herzen. 

Für das Projekt SchweinErleben bleibt zu hoffen, dass es eine grosse Öffentlichkeit erreicht, und Menschen ihre Einstellung gegenüber sogenannten Nutztieren verändern. Und es ihr Konsumverhalten bei tierischen Produkten massgeblich und positiv beeinflusst. Die sichtbar zufriedenen Gesichter der Schweine vom Panoramahof sollten ihren Teil dazu beitragen, denn die Tiere dort haben echt Schwein gehabt. 

Zur Person
Josef Pfabigan ist Vorstandsvorsitzender von VIER PFOTEN. Er ist verantwortlich für die strategische Ausrichtung, Führung und Entwicklung der globalen Tierschutzorganisation für Tiere unter direktem menschlichem Einfluss, die Missstände aufdeckt, Tiere in Not rettet und sie schützt. Der gebürtige Niederösterreicher ist Gründungsmitglied der Organisation und gehört dem Vorstand von VIER PFOTEN seit der Gründung im Jahr 1988 an. 

Hier können Sie Ihren Kandidatinnen und Kandidaten zum Europäischen Parlament mitteilen, dass sie sich für Tierschutz einsetzen sollen! 

Oliver Loga

Oliver Loga

Press Manager

oliver.loga@vier-pfoten.org

+41 43 883 72 51

VIER PFOTEN – Stiftung für Tierschutz
Altstetterstrasse 124, 8048 Zürich

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VIER PFOTEN ist die globale Tierschutzorganisation für Tiere unter direktem menschlichem Einfluss, die Missstände erkennt, Tiere in Not rettet und sie beschützt. Die 1988 von Heli Dungler und Freunden in Wien gegründete Organisation tritt für eine Welt ein, in der Menschen Tieren mit Respekt, Mitgefühl und Verständnis begegnen. Im Fokus ihrer nachhaltigen Kampagnen und Projekte stehen Streunerhunde und -katzen sowie Heim-, Nutz- und Wildtiere – wie Bären, Grosskatzen und Orang-Utans – aus nicht artgemässer Haltung sowie aus Katastrophen- und Konfliktzonen. Mit Büros in Australien, Belgien, Bulgarien, Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, im Kosovo, den Niederlanden, Österreich, der Schweiz, Südafrika, Thailand, der Ukraine, den USA, Vietnam sowie Schutzzentren für notleidende Tiere in elf Ländern sorgt VIER PFOTEN für rasche Hilfe und langfristige Lösungen. In der Schweiz ist die Tierschutzstiftung ein Kooperationspartner vom Arosa Bärenland, dem ersten Bärenschutzzentrum, welches geretteten Bären aus schlechten Haltungsbedingungen ein artgemässes Zuhause gibt.

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